Die Grünen und der Atomausstieg: Dafür oder dagegen sein?
Es ist einer der zentralen Inhalte der Grünen. Jahrzehnte lang haben sie dafür gekämpft. Nach einer Niederlage vor einem halben Jahr ist die Partei nun an ihrem Ziel: Deutschland steigt aus der Atomkraft aus! Anders als bei dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss ist es diesmal ein Konsens über alle Parteigrenzen hinweg.
Eine schwarz-gelbe Regierung beschließt den Ausstieg. Vor vier Monaten war das noch undenkbar. Mit Fukushima reifte jedoch sogar bei der FDP die Erkenntnis, dass sich das Restrisiko auch in einem Hochtechnologieland realisieren kann.
Am kommenden Wochenende entscheidet nun die grüne Basis über das schwarz-gelbe Ausstiegskonzept. Während die Parteispitze für den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg wirbt, sind Teile der Basis dagegen. Ihnen geht der Regierungsentwurf nicht weit genug.
Aber ist das ein Grund für eine komplette Ablehnung? Sicher, es gibt durchaus berechtigte Kritik. Ein Ausstieg wäre bereits 2017 möglich und Sicherheit der AKWs wurde auch schon mal größer geschrieben, die Endlagerfrage ist weiterhin ungeklärt. Aber müssen sich Grüne deshalb gegen diesen geplanten Atomausstieg wenden? Es ist eine absurde Situation, dass nun Grüne heftig über Zustimmung oder Ablehnung streiten, zumal eigentlich alles schon entschieden ist. 2022 gehen die letzten AKWs vom Netz. Damit hält sich die Regierung an den Zeitplan von Rot-Grün und ohne das Atomcomback-Intermezzo im letzten Herbst wäre der Zeitplan für den Ausstieg der gleiche. Letztendlich ist es egal, ob die Grünen im Bundestag zustimmen oder nicht. Die Mehrheit steht. Damit haben die Grünen eines ihrer Kernthemen verwirklicht: Ein breiter gesellschaftlicher Konsens, über alle Parteigrenzen hinweg, in Sachen Atomausstieg. Die Grünen müssen sich entscheiden, ob sie Teil dieses Konsenses sein wollen oder nicht.
Ja, wir wollen aussteigen. Und ja, der Plan von schwarz-gelb ist nicht ehrgeizig genug. Und ja, es gibt berechtigte Kritik. Aber sollen wir deshalb der CDU eine Steilvorlage liefern? Wollen wir wirklich schmollend in der Ecke sitzen, während die anderen Parteien aussteigen? Frei nach dem Motto „Alles oder nichts”?
Ohne die Grünen wären wir nicht da, wo wir heute sind. Die Regierung hat bei ihrem Ausstiegsentwurf einen großen Schritt auf die kleinste Oppositionspartei im Bundestag gemacht. Vieles in dem Regierungsentwurf sind grüne Ideen. Das grüne Ausstiegskonzept und das Regierung sind keine zwei sich widersprechende Konzepte. Das Grüne geht weiter und ist ehrgeiziger als die schwarz-gelbe „Basisversion”. Die Forderung nach mehr Sicherheit, einem schnelleren Ausstieg und der Lösung der Endlagerfrage müssen und werden die Grünen im Bundestag stellen. Wenn es dafür aber – wie zu erwarten ist – keine Mehrheit gibt, können die Grünen dennoch dem schwarz-gelben Antrag zustimmen, gerade weil diese „Basisversion“ viele grüne Ideen enthält und die Grundtendenz sich mit bisherigen Forderungen der Partei deckt. Ein grünes „Ja, aber schneller und sicherer” ist etwas ganz anderes als ein „Nein”!
Ein „Ich bin dagegen, weil ich für mehr bin” ist weder nachvollziehbar noch verantwortungsvolle Politik. Der Atomausstieg ist Konsens und kommt. Ob mit oder ohne den Grünen.
Und bei der nächsten Wahl kann man immer noch einen schnelleren Ausstieg fordern. Ob der sich umsetzen lässt, ist eine andere Sache.
Lieber David,
ohne Dir vorschnell im Ergebnis widersprechen zu wollen (ich bin noch unschlüssig), fehlen mir einige Aspekte und halte ich Deine Argumentation teilweise für selbstwidersprüchlich.
Was mir fehlt: Der „rot-grüne“ Atomausstieg war ein für die Grünen schmerzhafter Kompromiss, zu dem es damals keine Alternative gab: Entweder man ließ sich als Regierungspartei darauf ein oder es hätte keinen Ausstieg gegeben. Die *grüne* Position ging auch damals schon viel weiter; der „Konsens“ war ein Zugeständnis an Clement et al. und ich wüsste nicht, warum man sich als Grüne nun in irgendeiner Weise daran gebunden fühlen müsste – ganz im Gegensatz zur SPD.
Was ich selbstwidersprüchlich finde: „Ein „Ich bin dagegen, weil ich für mehr bin” ist weder nachvollziehbar noch verantwortungsvolle Politik.“ Nun, diese Aussage – insbesondere der „verantwortungsvoll“-Teil steht für mich in kaum auflösbaren Widerspruch zu dem weiter oben formulierten „für ein Zustandekommen kommt es auf die Grüne Zustimmung nicht an.“ Es handelt sich auch nicht um einen Kompromiss, an den sich die Parteien nur bei Zustimmung aller gebunden fühlen. Aus „verantwortungsethischer“ Seite spricht meines Erachtens sogar mehr gegen eine Zustimmung: Mit einer Zustimmung *übernimmt* man nämlich auch Verantwortung für einen Beschluss – obwohl man ihn inhaltlich falsch (auch „nicht weitgehend genug“ ist „falsch“) findet. Was, wenn es 2018 „bumm“ macht? Dazu kommen mögliche negative gesellschaftliche Folgen eines „grünen Segens“ für *diesen* Atomausstieg – im schlimmsten Fall bricht man damit vielleicht sogar der Anti-AKW-Bewegung das Rückgrat (ohne deren Stärke zu unter- oder ihre Grünen-Abhängigkeit überschätzen zu wollen – aber ich erinnere an die Schwäche der Bewegung nach dem Atom-Konsens). Insofern halte ich auch alle Aussagen nach dem Motto „wir können dann ja immer noch weiter mehr fordern“ für entweder gehörig naiv oder jedenfalls unpolitisch.
Der entscheidende Punkt für mich ist eher: Ist das kommunizierbar?
Lieber Thorsten,
ja der Atomausstieg von rot-grün war ein schmerzhafter Kompromiss, der für viele enttäuschend war. Jedoch gab es zum ersten Mal überhaupt ein klares Ausstiegsszenario verbunden mit der gleichzeitigen Förderung der erneuerbaren Energien. Alles in allem führte der Kompromiss auch zur Befriedung der jahrelang andauernden Diskussion.
Bis letzten Herbst war dieser rot-grüne Ausstiegsbeschluss in Kraft. Bis letzten Herbst war 2022 das Ausstiegsdatum. Und nun, da schwarz-gelb ihren eigenen Fehler rückgängig macht und wieder auf den Ausstieg bis 2022 umschwenkt, ist uns Grünen das auf einmal nicht mehr genug? Nachdem wir dafür gekämpft haben den Ausstieg nicht rückgängig zu machen, sollen wir jetzt an eben diesen Ausstieg, für den wir noch vor wenigen Wochen auf die Straße gegangen sind, nicht mehr gebunden sein? Galt damals nur die Devise „Lieber diesen Ausstieg als gar keinen”? Standen wir eigentlich gar nicht so richtig hinter dem Konzept?
Grüne Politik hieß bisher auch in der Opposition sich ernsthaft mit den Inhalten der Regierungsentwürfe auseinanderzusetzen und eventuell auch zuzustimmen. Nein, es kommt bei dem neuerlichen Ausstiegsbeschluss nicht auf die Grünen an. Aber auch die kleinste Oppositionspartei kann verantwortungsvolle Politik machen und sich an Entscheidungen der Mehrheit beteiligen. Wir haben den Ausstieg bis 2022 unter Rot-Grün beschlossen und wir sollten auch heute zu der Entscheidung und zu der Verantwortung, die wir damals übernommen haben, stehen!
Die Frage, was bei einem Atomunfall passiert, halte ich nicht für zielführend. Einerseits hätten wir ohne den schwarz-gelben Ausstieg aus dem Ausstieg immer noch die Verantwortung bis 2022 und andererseits könnten wir dieser Verantwortung nur mit einer möglichst schnellen Ausstiegsforderung entgehen. Es war bisher nicht die Politik der Grünen sich der Verantwortung zu entziehen und das sollte es auch nicht in Zukunft sein!
Wenn es kommunizierbar wäre, hätte ich vermutliche eine andere Einstellung bei der Frage der Zustimmung. Aber ich glaube nicht, dass es vermittelbar ist, warum wir Bedenken gegen den Regierungsentwurf haben. Jahrzehntelang dafür kämpfen und nun, da sich eine Mehrheit abzeichnet, kann man den Hals nicht voll genug bekommen. War ja klar! So oder so ähnlich wird die Lesart in der Öffentlichkeit sein. Für viele zählt doch der Ausstieg an sich.
Und nein, ich will nicht, dass der Ausstieg mit Merkel und Brüderle nach Hause geht!
Lieber David,
was ich nicht ganz verstehe: Warum soll eigentlich schwarz-gelb nach der Katastrophe von Fukushima die Atompolitik um 180° ändern können, wir Grünen müssen uns aber an einer uns damals schon nicht weit genug gehenden Kompromissentscheidung von 2002 festhalten lassen?
Wenn man sich natürlich auf den Standpunkt stellen möchte, dass wir es eh schon immer alles besser gewusst haben und nie einen Fehler oder gar eine atompolitische Fehleinschätzung gemacht haben – dann ist das wohl so (nein, diese Haltung unterstelle ich Dir nicht, um das ganz deutlich zu sagen).
Wenn man aber zugibt, dass angesichts von Fukushima die Entscheidung von 2002 heute nicht mehr verantwortbar wäre (und das sagen wir ja implizit, wenn wir nun einen Ausstieg bis 2017 und vieles mehr fordern), dann darf es einem eben auch nicht reichen, wenn das Rad nun von „noch schlimmer“ wieder auf den Stand von 2002 zurückgedreht wird (ich vergröbere da jetzt etwas; die Entscheidung jetzt geht ja in einigen Punkten über den Atomkonsens 2002 durchaus hinaus).
Und was mir in Deiner Stellungnahme ganz fehlt: Der Bezug zu den (gesellschafts)politischen Auswirkungen, die eine Zustimmung der Grünen auf die Schlagkraft der Anti-AKW-Bewegung und die Glaubwürdigkeit der Grünen im Bezug auf die Forderung eines noch weitergehenden Ausstiegs haben würde.
Die deutschen Umweltverbände scheinen meine Bedenken zu teilen: Offener Brief der Umweltverbände an die Grünen Delegierten.
Die Reaktion des Grünen Bundesvorstands: Brief an die Umweltverbände.
Äh, ja. Hier nochmal der richtige Link zum Brief des Grünen Bundesvorstands (PDF).