Antwort auf die heulende Urheberrechtslobby [Update]

Auf dem Grünen Bundesparteitag am Wochenende wird unter anderem über die Netzpolitik diskutiert. Dabei geht es auch um eine Reform des Urheberrechts. Einige Urheberrechtslobbyisten haben daher mal Ihre „Gedanken zum netzpolitischen Leitantrag“ kund getan, die auch von einigen anderen Seiten bereits kritisch hinterfragt wurden. Da ich meine Meinung zu dem Papier den Verantwortlichen direkt mitteilen wollte, habe ich den Absendern auf Ihre „Gedanken“ folgendes geantwortet:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin einer der Delegierten bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen. Mit Erstaunen habe ich Ihre „Gedanken zum Leitantrag“ zur Kenntnis genommen.
Ich bin studiere Jura mit Schwerpunkt Informationsrecht und interessiere mich sehr für das Thema Urheberrecht. Auch wenn ich manche Ihrer Ziele sicher teile, so halte ich dennoch eine grundlegende Debatte über das Urheberrecht in seiner heutigen Form für angebracht. Ihre „Stellungnahme“ ist in der Debatte weder sachlich noch zielführend.

„Die Chancen werden breit ausgemalt, mögliche Gefahren oder negative Auswirkungen aber unterschlagen oder bestenfalls punktuell berücksichtigt.“

Das Internet bietet große Chancen, es hat aber auch neue Erwerbsmodelle hervorgebracht. Dabei gibt es natürlich auch negative Seiten der Medaille – keine Frage. Es ist aber eine Frage der Grundhaltung wie man an diese Sache herangeht. Sieht man eher die Chancen oder eher die Risiken. Anstatt aktiv in die Debatte zu gehen und ihre Vorschläge zu präsentieren, ziehen Sie sich lieber zurück und haben Angst vor dem Neuen. So kann man nicht langfristig bestehen und schon gar nicht überzeugen!

„Zivilrechtliche Maßnahmen sollen eingeschränkt werden oder werden komplett abgelehnt“

Sie verweisen in Ihren „Gedanken“ auf Zeile 119 und Zeile 471 des grünen Antrages. Darin wird „die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung ohne ordentliches rechtsstaatliches Verfahren.“ (Zeile 119 f.) komplett abgelehnt. Dass Sie das mit dem rechtsstaatlichen Verfahren keine Gute Idee finden, haben viele zwar bisher vermutet, ich hätte aber nie gedacht, dass Sie das auch mal schriftlich äußern würden!
Auch die Tatsache, dass Sie Zeile 471 ablehnen, dürfte alles andere als Akzeptanz für Ihre Position hervorrufen! „Gleichzeitig hat sich in den letzten Jahren ein System des Abmahnwesens etabliert, dass diesen Akzeptanzverlust verstärkt. Es setzt falsche Anreize und führt zu Massenabmahnungen, die häufig auch Unschuldige treffen. Daher wollen wir das System des Abmahnwesens, gerade im Bereich von Urheberrechtsverletzungen, grundlegend verändern.“ (Zeile 471)
Haben Sie keine eigene Position zum Thema Abmahnwesen? Teilen Sie die Kritik daran nicht?!

„Eine strafrechtliche Verfolgung ist zwar vorgesehen, da aber keine Verstärkung der Mittel gefordert wird, dürfte dies in Anbetracht der überlasteten Strafverfolgungsbehörden allenfalls ein Alibihinweis sein.“

Da dürfte einigen spontan die Abmahnindustrie in den Sinn, die mehrere Staatsanwaltschaften solange mit Anzeigen überflutete bis diese überfordert die Ermittlungen von IP-Adressen wegen einzelnen Urheberrechtsverstößen verweigerten oder das Amtsgericht München, an dem gerade 1400(!) Verfahren gegen vermeintliche Fliesharer anhängig sind.
Nur weil zu der Mittelausstattung nichts gesagt wird, den Punkt gleich als „Alibihinweis“ abzutun ist nicht überzeugend, da Ihre Behauptung in diesem Punkt lediglich eine arrogante These ist, die keinerlei Argumentationswert hat!

„Löschen darf nur noch nach einer richterlichen Entscheidung erfolgen (Zeile 268). Dies bedeutet, dass ein Hoster Kinderpornographie solange wissentlich vorhalten muss, bis der Richter eine Löschungsanordnung ausgesprochen hat.“

Entweder haben Sie den Antrag nicht verstanden oder es handelt sich um eine bösartige Unterstellung. Zu Ihren Gunsten nehme ich einmal ersteres an! In dem Abschnitt auf den Sie verweisen, geht es um Whistleblower wie Wikileaks. Dazu wird ausgeführt: „ Presse- und Meinungsfreiheit muss geschützt werden, Inhalte auf Servern dürfen ohne richterliche Entscheidung nicht auf Druck von staatlichen Stellen aus gelöscht, Konten nicht gesperrt oder Domainnamen und IP-Adressen nicht entzogen werden.“ (Zeile 267 ff.). Das hat nichts mit Kinderpornographie zu tun!
Weiter oben haben Sie in Ihren Gedanken schon auf Zeile 325 verwiesen, warum lesen Sie dann nicht auch die Zeile zu Ende? „Wir Grünen setzen uns weiterhin für eine effektive Löschung entsprechender verbotener Inhalte nach rechtsstaatlichen Prinzipien ein, erteilen aber Sperrfantasien auch weiterhin eine deutliche Absage.“ (Zeile 325 ff.)
Das ist doch deutlich! Kinderpronographische Inhalte sind verboten und müssen daher gelöscht werden. Den Grünen hier etwas anderes zu unterstellen, ist alles andere als förderlich für Ihre Argumentation!

„Kein Drohpotential bei Löschungsaufforderungen, da Sperrungen oder andere Maßnahmen nicht vorgesehen sind. Statt „Löschen vor Sperren“ bleibt nur noch die „Bitte um freiwilliges Löschen“.“

Woher haben Sie denn das? Das steht doch gar nicht in Zeile 326 drin! Warum sind „effektive Löschung entsprechender verbotener Inhalte nach rechtsstaatlichen Prinzipien“ keine Sperrungen?!

„Jegliche Technologie, die zur Überwachung oder Sperrung missbraucht werden könnte, darf nicht mehr exportiert werden (134 ff.). In Anbetracht der Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft dürfte dies einem Produktionsverbot gleichkommen.“

Mit der Argumentation müssten wir auch die Beschränkungen des Waffenexports sofort aufheben! Politik hat aber immer auch eine moralische Komponente, so dass es kein Wirtschaften um jeden Preis geben kann! Sie mögen eine andere Position haben, aber ein Export deutscher Technologie an den Iran, Syrien oder Bahrein zur Überwachung der dortigen Bevölkerung ist mit den Grünen nicht zu machen!
In dem Antrag wird auf die Schwierigkeit dabei eingegangen: „Auch wenn wir uns der technischen Komplexität und der Möglichkeiten des Dual-Use in diesem Bereich bewusst sind, so gilt es dennoch, politisch Wege zu finden, die diese Praktiken unterbinden und ächten, damit die Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit im Internet zurückgedrängt und die Verfolgung beispielsweise von BloggerInnen und InternetaktivistInnen wirksam bekämpft wird.“ (Zeile 136 ff.)

„Eltern sollen nicht einmal mehr voreingestellte Jugendschutzfilter erhalten dürfen“

Da haben Sie mal wieder etwas missverstanden, ob willentlich oder nicht sei mal dahingestellt! Eltern sollen auch weiterhin Jugendschutzfilter erhalten dürfen, die können auch vorkonfiguriert sein. Es geht aber um Pflichtprogramme und vorgeschriebene Filter. Beim vorherigen Punkt waren Sie noch gegen eine Beschränkung der Wirtschaft, auch wenn es um Menschenrechte geht, und nun wollen Sie nicht, dass sich ein Markt verschiedener Jugendschutzsoftware etabliert!

„Jegliche Vorratsdatenspeicherung wird abgelehnt. Die von der Polizei beklagten negativen Folgen gelten dann natürlich auch für die Verfolgung von Datenschutzdelikten.“

Glauben Sie ernsthaft mit dem Datenschutzargument die Grünen überzeugen zu können!? Leider ist es an dieser Stelle vollkommen fehl am Platz, da ja gerade eines der Argumente gegen die Vorratsdatenspeicherung der Datenschutz ist. Und nur weil die Polizei irgendwelche „negativen Folgen“ beklagt, ist das noch lange nicht überzeugend! Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2010 beträgt die Aufklärungsquote bei Internetdelikten immer noch beachtliche 72 %, gegenüber mageren 56 % durchschnittlicher allgemeiner Aufklärungsquote. Daher ist die Behauptung man könne schwere Straftaten im Internet mit klassischen polizeilichen Ermittlungsmethoden nicht mehr aufklären, weshalb u.a. eine Vorratsdatenspeicherung zwingend nötig sei, auch durch die aktuelle PKS einmal mehr falsifiziert worden.

„Dem Gedanken der Netzneutralität folgend will man dass illegale Inhalte faktisch die gleichen Rechte auf Durchleitung erhalten wie legale Inhalte. Danach dürfte auch eine Spamfilterung verboten sein. Dies bedeutet in Zukunft das 25fache an eingehenden E-Mails.“

Hier liegt offensichtlich ein völliges Unverständnis des Themas „Netzneutralität“ vor. Es geht um die Frage, ob Datenpakete alle mit der gleichen Priorität weitergeleitet werden sollen oder nicht. Denkbar wäre der Verkauf von Priorisierungsrechten, vergleichbar mit dem Expressbrief bei der Post. Im Gegensatz zur Post, bei der der normale Brief in seiner normalen Geschwindigkeit versandt wird, unabhängig ob daneben ein Expressbrief schneller weitergleitet wird, würde bei einer Priorisierung von Datenpaketen, die anderen verlangsamt werden. Bei der Frage der Netzneutralität spielt die Legalität des Inhalts keine Rolle. Es geht nur um die Frage, ob der Absender etwas für die schnellere Durchleitung bezahlt oder nicht. Wenn die Hoster von Streamingseiten mit illegalen Inhalten für die schnellere Durchleitung Geld bezahlen, dann werden eben deren illegale Datenpakete bevorzugt befördert.
Aktuell haben wir die Netzneutralität und da bisher die Spamfilterung zulässig ist (das hat auch überhaupt nichts mit der Frage der Netzneutralität zu tun!), wird diese auch weiterhin zulässig wenn wir die Netzneutralität beibehalten.

„Diese destruktive Grundhaltung des Antrages kommt sehr deutlich bezüglich der Urheber- rechte zur Geltung: Hier wird – ohne Beachtung internationaler Abkommen – eine Reduzierung der Schutzfrist für Werke auf 5 Jahre gefordert. Diese darf aber kostenpflichtig verlängert werden. De facto ist diese Frist aber unwesentlich, da die Rechte nicht mehr durchsetzbar sind. Die Verbreitung von Raubkopien wird erlaubt (435): „Gleichzeitig wollen wir die Kriminalisierung der nicht-kommerziellen Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Internet beenden und den Zugang zu ihnen grundsätzlich erleichtern.“ Und da dies noch nicht reicht, wird auch die zivil- oder strafrechtliche Verfolgung von Raubkopierern zusätzlich noch verboten (579). Nicht-kommerziell bedeutet, dass kein Gewinn erwirtschaftet werden darf (439). So wird die Verbreitung von Raubkopien faktisch freigegeben, da der Nachweis eines Gewinns beim Raubkopierer unmöglich sein dürfte. (Auch beim profitabelsten Raubkopieportal kino.to sind die wesentlichen Gewinne bei den verbundenen Hostern angefallen. Die Kosten des Hochsicherheitsservers in Russland dürften vermutlich gerade durch die Werbung auf der Seite selber finanziert worden sein.)“

Warum setzen Sie sich nicht ausführlich und sachlich mit der Kulturflatrate auseinander? Einzelne Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und dann das ganze als „destruktiv“ bezeichnet, zeugt nicht von einer konstruktiven Auseinandersetzung Ihrerseits mit dem Thema! Vielmehr bringen Sie mit „Ihren Gedanken zum Leitantrag“ Ihre Ablehnung an einer sachlichen Debatte über eine Reform des Urheberrechts zum Ausdruck!

Bringen Sie doch Argumente für Ihre Position! Wie soll ich mich mit Ihrer Position auseinandersetzen, wenn Sie nur polemisch gegen den Antrag wettern?
Und der Begriff „Raubkopierer“ ist nach wie vor kompletter Unsinn (Wo ist das Gewaltelement des § 249 StGB?), aber das wissen Sie ja sicherlich!

„In Anbetracht der Offensichtlichkeit des Ausnutzens der Kreativen durch Suchmaschinen und Sharehoster scheint es sich um einen reinen Alibihinweis zu handeln.“

An welcher Stelle nutzen Suchmaschinen die Kreativen aus? Sie kennen offenbar weder die Rechtsprechung des BGH zu Google-Thumbnails noch wissen Sie, dass Suchmaschinen ganz einfach ausgesperrt werden können (das geht ganz einfach). Hören Sie auf zu jammern! Entweder Sie sperren Google von Ihren Webseiten aus oder nicht, aber entscheiden Sie sich und tragen Sie dann auch die Konsequenzen!
Und auch hier ist es nicht sonderlich überzeugend, wenn sie Punkte als „Alibihinweis“ abtun!

„Abgespeist werden die Kreativen mit eventuellen zukünftigen Einnahmen. Diese sind aber noch im Vor-Planungsstadium. Der auf der Hand liegende ausgleichende Ansatz, Freigabe erst nach Sicherung der Einnahmen, unterbleibt.“
Wenn es eine Kulturflatrate gäbe, müssten alle deutschen Internetanschlüsse eine monatliche Abgabe bezahlen. Diese würde dann auf die Künstler verteilt. An welcher Stelle wird hier wer mit was abgespeist? Ihre Argumentation erweckt nicht den Anschein als hätten Sie sich mit dem Modell der Kulturflatrate ausführlich auseinandergesetzt, geschweige denn verstanden!

„Dies kann nur als bewusste Ausbeutung der Kreativen zu Gunsten eines bei dem Wähler ankommenden Parteiprogramms Namens „Brot und Unterhaltung“ verstanden werden.“

Das ist jetzt nicht das bestmögliche Schlusswort zu Ihren „Gedanken zum Leitantrag“, die vor allem aus wenigen Argumenten, vielen Thesen und dummdreisten Unterstellungen bestehen. Sie polemisieren und erkennen nicht, dass es den Grünen gerade darum geht, die Missstände des heutigen Systems zu bekämpfen. Aber anstatt in eine echte Diskussion mit einem Austausch von Argumenten zu kommen, liefern Sie dieses dünne Papier ab, das statt Überzeugungskraft nur eine „destruktive Grundhaltung“ zum Ausdruck bringt.

Vielleicht können Sie ja auf einige der genannten Punkte eingehen und diese nochmals klarstellen.

Mit freundlichen Grüßen
David Vaulont“

Update: Herr Weinrich (Geschäftsführender Vorstand des  Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland e.V.) hat mir auf meine Mail folgendes geantwortet:

„Sehr geehrter Herr Vaulont,
erlauben Sie mir eine kurze Antwort:

Selbstverständlich kann man ein Thema nur aus einem Gesichtspunkt betrachten, dann sollte man aber nicht behaupten, dass man nicht nur einen Blickwinkel einnimmt (30).

Das wir in vielen Detailfragen unterschiedlicher Meinung sind ist klar. Vorrangig wurden die Beispiel genannt um zu belegen, dass man alle bekannten Eingriffsmechanismen ablehnt. Die Frage wie man den zu verbessernden Datenschutz gewährleisten will, bleibt somit völlig offen. Diesem Kritikpunkt weicht bisher jeder Grüne aus. Zu einigen der Details:

– Dass die Grünen die freiwillige Löschung illegaler Inhalte und voreingestellte Filtersoftware doch zulassen wollen beruhigt. Wieso man es nicht schreibt bleibt aber unklar.

– Netzneutralität – Hier verkürzen Sie die Debatte: Es gibt in der Diskussion Stimmen, die die Netzneutralität ausdrücklich auf legale Daten beziehen. Es gibt auch Sorgen, dass anderer Verkehr auf Druck einzelner Unternehme verlangsamt versendet wird.

– Wir halten nichts von der Kulturflaterate. Die Debatte können wir auch gerne führen. Der Vorwurf liegt aber insbesondere darin, dass man dieses erst als Konzept entwickeln will, während aber schon feststeht, dass die Urheberrechte eingeschränkt werden. Wenn man fremde Medieninhalte verbreiten darf, solange man keinen Gewinn erwirtschaftet (= Kostendeckung), dann ist der Verbreitung illegaler Medien Tor und Tür geöffnet. Abgesehen davon, dass dies von außen kaum noch beurteilbar bleibt, muss man nun einfach ein paar Kosten produzieren und schon ist die Verbreitung legal. Sorry, aber da können wir, die viel Geld dafür bezahlen, dass wir die Medieninhalte verbreiten dürfen, schon richtig sauer werden.

Bezüglich Suchmaschinen: Geben Sie einmal einen aktuellen Filmtitel in Verbindung mit dem Wort Download bei Bing ein. Unter den ersten 10 Suchergebnissen befindet sich fast immer mindestes eine Verlinkung zu einem illegalen Angebot. Gleichzeitig gibt es dort Werbeanzeigen. Obwohl bei dieser Nutzung die Kreativen völlig leer ausgehen scheint dies den Grünen egal zu sein – oder soll Bing auch in die Flaterate einzahlen?

Mit freundlichen Grüßen
Jörg Weinrich“

Update: Meine erneute Antwort

Günther Oettinger: Westlich von Paris gibt es nur Kühe und den Atlantik

Wenn Günther Oettinger in Freiburg redet, gibt er bekanntlich seine nicht immer ganz korrekte Sicht auf die Dinge zum Besten. Nun hat er seiner Freiburger These eine weitere hinzugefügt. Diesmal war er zu einer Diskussion mit Boris Palmer über Stuttgart 21 in Freiburg zu Gast und erklärte, warum der Pariser Bahnhof Gare de l’Est ein Kopfbahnhof ist:

„Sie sagen, alle seien Kopfbahnhöfe. Stimmt doch gar nicht! Strasbourg – Durchgangsbahnhof. Karlsruhe – Durchgangsbahnhof.  – Es stimmt, Paris ist ein Kopfbahnhof. Gare de l’Est. Warum? Weil es westlich von Paris keine Menschen mehr gibt, sondern nur Kühe und Atlantik.

Bill Clinton und seine Sicht auf die amerikanische Wirtschaftskrise

Bill Clinton hat eine neues Buch geschrieben „Back to Work: Why We Need Smart Government for a Strong Economy“. Im unterhaltsamen Interview mit Jon Stewart beschreibt er seine Sicht auf die amerikanische Wirtschaftskrise und die möglichen Lösungsansätze. Neben der Steuerfrage geht es u.a. auch um die Erneuerbaren Energien und den Vorsprung der Deutschen auf diesem Gebiet.

Kindergarten Bundestag: Viel Geschrei um das Programm der Linken

Kindergarten Bundestag: Die Linke„Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die mutmaßlich schwerste Krise Europas seit dem Kriegsende, dramatische Situationen, wir müssen Handlungsfähigkeit beweisen, Euro und Europakrise – da steht auch der Bundestag vor immensen Herausforderungen.“

So begann die Rede von Patrick Kurth (FDP) letzten Donnerstag im Bundestag. Bei der momentanen Situation ist das kein ungewöhnlicher Anfang für eine Rede. Euro-Krise, Rettungsschirm, Bankenregulierung, Occupy-Bewegung,… nichts von alledem war Gegenstand der besagten Debatte. Nein, die schwarz-gelbe Koalition hatte eine aktuelle Stunde zum neuen Grundsatzprogramm der Linken beantragt.

Eine aktuelle Stunde ist gemäß § 106 der Geschäftsordnung des Bundestages eine „Aussprache über ein bestimmt bezeichnetes Thema von allgemeinem aktuellen Interesse in Kurzbeiträgen von fünf Minuten“. Inwiefern das Programm der Linken von allgemeinen aktuellen Interesse ist, sei mal dahingestellt. Zumindest zeigt es aber, dass selbst in Krisenzeiten die Koaltionäre nichts besseres zu tun haben, als sich einmal zur Mittagszeit (da ist eine größere Aufmerksamkeit garantiert als Abends um 18 Uhr) so richtig schön an der Linken abzuarbeiten. Wenigstens einmal sich einig sein, einmal nicht die eigenen Wähler gegen sich aufbringen, da müssen wichtigere Themen halt mal zurückstehen.

BundestagTV –Video der DebatteDie Debatte selbst war dann Kindergarten für Fortgeschrittene. Es wurde geplärrt was das Zeug hielt. Die Redner der CDU und der FDP beschwörten das Bild der DDR, die SPD war beleidigt und wollte sich nicht den Begriff des „Demokratischen Sozialismus“ nehmen lassen, die Grünen kritisierten einerseits das Programm der Linken, verglichen deren Verstaatlichungsphantasien dann aber mit der Teilverstaatlichung der EnBW durch Herrn Mappus. Letzteres fand die CDU nicht so witzig, da doch eigentlich „Alle gegen die Linke“ gespielt werden sollte und nicht eine ernsthafte Diskussion stattfinden sollte. Also wurden die Grünen auch noch ein bisschen mit Bauklötzchen beworfen.

Die Linke verteidigte gegen die Angriffe ihr Programm was das Zeug hielt. Da die eigene Redezeit begrenzt war, wurden die Redner der anderen Fraktionen durch Zwischenrufe gestört. Der Tagesordnungspunkt dauerte 52 Minuten, die Linksfraktion tätigte laut dem Protokoll (ab Seite 16124) insgesamt 134 Zwischenrufe! Ganz besonders aktiv war dabei Herr Dr. Diether Dehm, der alleine 43 Zwischenrufe beisteuerte und zudem einmal einen Gesang anstimmte. Damit tätigte die Linke insgesamt mehr als dreimal so viele Zwischenrufe wie alle anderen Fraktionen zusammen. Die CDU rief 24 dazwischen, die SPD 6, die FDP 4 und die Grünen ebenfalls 4, wovon jedoch einer die Aufforderung an die Linke war, endlich ruhig zu sein.

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau versucht im Hintergrund durch Handbewegungen ihre Fraktion zu beruhigen – vergebens.
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau versucht im Hintergrund durch Handbewegungen ihre Fraktion zu beruhigen – vergebens.

Die Taktik der Linken ging offensichtlich auf – mehrere der Redner fühlten sich massiv gestört. Die Bundestagsvizepräsident Petra Pau, die die Sitzung leitete, versuchte anfänglich ihre Fraktion noch durch Handbewegungen zu beruhigen, hatte damit jedoch ebenso wenig Erfolg, wie mit ihren zahlreichen Ermahnungen.

Alles in allem war es ein großer Kindergarten: Die CDU und die FDP wollten die Linke ärgern, die ärgerte zurück, die SDP schmollte in der Ecke – nur die Grünen hatten offenbar das Spiel nicht verstanden und wollten ernsthaft diskutieren.

Gäbe es keine wichtigeren Themen, es wäre unterhaltend.

[Update] Vertraulichkeit ist nichts für die Uniklinik Freiburg!

Vertraulichkeit einer BlutspendeIch habe neulich Claudia kennen gelernt. Sie hat braune Haare, ist momentan gesund, 1,72m groß und wiegt 60kg. So ganz sicher ist sie sich bei ihrem Gewicht nicht, es können auch 2kg weniger sein. – Sie heißt nicht wirklich Claudia, aber ich nenne sie jetzt einfach mal so.

In Situationen, in denen sie aufgeregt ist, neigt sie zu einem hohen Puls. Als ich sie kennenlerne, ist ihr Ruhepuls 123. Das doch deutlich höher als normal. Ihr Hämoglobinwert ist üblicherweise bei knapp über 14, ausnahmsweise ist er jetzt bei 15,8. Krankheiten hat sie keine, sie nimmt aber Jodtabletten. Das liege in der Familie. Im Sommer war sie für mehrere Wochen in Peru unterwegs. In Malariagebieten war sie aber nicht. Ein Tropenarzt hat ihr vor der Reise die gefährdeten Gebiete gezeigt, die hat sie alle gemieden.

Eigentlich haben wir uns nicht richtig kennen gelernt. Also sie mich nicht. Nur ich sie. So ein bisschen halt. Aber immerhin. Vermutlich weiß sie auch nicht, was ich alles über sie weiß. Sie war einfach nur zur gleichen Zeit wie ich am gleichen Ort. Blutspenden in der Uniklinik Freiburg. Wer etwas über andere Menschen erfahren möchte, ist dort genau richtig!

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Konflikte muss man lösen! – Mail an die grüne Fraktion im Main-Kinzig-Kreis

Die grüne Kreistagsfraktion im Main-Kinzig-Kreis will ihrem Mitglied und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Daniel Mack das Twittern und Bloggen seiner eigenen Meinung verbieten. Künftig soll er alle Inhalte vorher der übrigen Fraktion vorlegen und nur nach der Genehmigung veröffentlichen. Dies wollte Daniel nicht akzeptieren und tritt zum 31. Oktober als stellvertretender Fraktionsvorsitzende zurück.

Der Streit schwelt nun seit ein mehreren Tagen und wurde von verschiedenen Medien aufgegriffen. Mittlerweile geht er sogar schon über die hessische Landespolitik hinaus. Von einer Lösung sind die Beteiligten jedoch weiter entfernt denn je. Immerhin hat Daniel vor ein paar Tagen einen offenen Brief an seine Fraktionskollegen geschrieben (dort findet sich auch eine Übersicht der Medienberichte), nach einer Lösung sieht es momentan aber dennoch nicht aus.

Nachdem ich in den letzten Tagen von mehreren Seiten auf das Thema angesprochen wurde, habe ich gestern Abend an alle Fraktionsmitglieder folgende Mail geschrieben:

„Liebe/Lieber,

ich bin verwundert, dass Du und die übrigen Fraktionsmitglieder über die Frage der freien Meinungsäußerung diskutiert. Ich bin erschreckt, dass Du und die anderen Fraktionsmitglieder die Äußerung einer persönlichen Meinung kontrollieren und nur bei Gefallen freigegeben werden wollt. Ich bin bestürzt, dass ihr euch darüber seit Tagen öffentlich streitet, bisher aber nicht in der Lage seit den Konflikt zu lösen.

Als grünes Mitglied wurde ich in den letzten Tagen von verschiedenen Seiten auf den „Twitter-Maulkorb“ angesprochen. Die ganze Auseinandersetzung und die dazugehörige mediale Berichterstattung ist für Außenstehende nicht verständlich. Wir sind eine Partei, die sich für Grundrechte einsetzt. Wir sind eine moderne Partei und wir stehen modernen Kommunikationsmitteln offen gegenüber, setzen sie auch ein. 2-Wege-Kommunikation habt ihr in eurem Wahlkampf doch selbst propagiert! Aber was macht ihr? Ihr wollt, dass jeder (ich nehme mal an, dass es nicht nur für Daniel Mack gilt) seine Äußerungen bevor er sie öffentlich tätigt der restlichen Fraktion vorlegen soll.

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“ So lautet Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz. Da steht nichts von „vorheriger Abstimmung mit der übrigen Fraktion“. Jeder! Und nein, es ist total egal, ob es ein Abgeordneter ist oder nicht. Gerade Abgeordnete sollen und müssen sich frei äußern dürfen! Nicht so in Deiner Fraktion: „Wir haben große Schwierigkeiten damit, wenn jemand aus seiner Sicht heraus Sachen kommentiert, die sich mit der Meinung der Fraktion nicht decken“, sagte Fraktionsvorsitzender Bousonville auf Nachfrage von hr-online.

Hast Du Dir eigentlich mal überlegt was das heißt? Wenn Du mit Freunden über Politik redest, kannst Du dich nicht nur – nein, Du darfst dich nicht äußern, ohne vorher deine Fraktion gefragt zu haben. Du darfst mit keinem Bürger mehr über irgendein Anliegen oder Projekt reden, ohne nicht jede Antwort oder Aussage vorher abgestimmt zu haben. All das wären eine politische Äußerung, die der Fraktionsmeinung widersprechen könnte. Du hast Dir selbst Deine eigene politische Meinung verboten – versteckst Dich hinter der Fraktionsmeinung! Das nenne ich mal mutige Politik! Nein, es spielt auch keine Rolle, dass Du alleine mit Freunden zusammen sitzt und ihnen klar ist, dass es Deine eigene Meinung ist. Daniel Mack twittert unter seinem eigenen Account (@danielmack), mit seinem eigenen Bild und mit dem Hinweis, dass es sich um seine Privatmeinung handelt. Er bloggt auf seiner Webseite ( http://danielmack.de ), ohne ein Logo der Grünen und mit dem Hinweis, dass es sich um seine Privatmeinung handelt. – Du siehst, selbst dass reicht nicht aus! Daniel Mack „erweckte dabei den Eindruck, er sei der Sprecher der Fraktion“ (Reiner Bousonville in der Fuldaer Zeitung), „Nach außen hin wird der Eindruck erweckt, Daniel Macks Meinung sei Mehrheitsmeinung der Fraktion“, klagt Bousonville. (TAZ)“

Ich muss etwas übersehen haben, denn ich habe keinen Tweet oder Blogbeitrag gefunden, in dem Daniel Mack für die gesamte Fraktion gesprochen hat. Da ich mir nicht vorstellen kann, dass es sich lediglich um eine leere Behauptung handelt, wäre Ich Dir daher sehr dankbar, wenn Du mir zumindest einen entsprechenden Beitrag nennen könntest/würdest!

Siehst Du eigentlich nicht was die Außenwirkung des Konflikts sind? Wie viel ihr damit kaputt macht? Wie sehr ihr der gesamten Partei schadet? Wir Grünen in der restlichen Republik stehen unter Rechtfertigungsdruck und sollen eure Entscheidung erklären. Es tut mir leid, ich kann es nicht! Ich verstehe sie nicht! Ich kann sie nicht nachvollziehen und daher auch nicht erklären!

Es ist nachvollziehbar, dass es für beide Seiten nicht leicht ist, in einem gemeinsamen Gespräch den Konflikt zu beenden. Aber was ist die Alternative? Das Problem totschweigen ändert nichts an der Situation für die Gesamtpartei. Auch kann ich mir kaum vorstellen, dass ihr als Fraktion so vertrauensvoll zusammenarbeiten könntet, wenn ein heftiger Konflikt ungelöst unter den Teppich gekehrt wurde.

In der Politik gibt es Konflikte. Das ist normal und gehört dazu. Entscheidend ist nur, ob man auch in der Lage ist, diese vernünftig zu beenden und eine gemeinsame Lösung zu finden, oder ob man sich lieber weiterhin wie die kleinen Kinder mit Bauklötzchen bewirft und nicht mehr mit dem anderen redet!

Viele Grüße,

David“

Wer den Schaden hat…

…braucht für den Spott nicht zu sorgen. Die Wahlparty Trauerfeier der FDP in Berlin bekam gestern Besuch von der PARTEI und der Hedonistischen Internationale.

Als im Thomas-Dehler-Haus, der Bundeszentrale der FDP, um 18 Uhr die Prognose übertragen wird, bricht Jubel aus. Obwohl die FDP nur 1,8 % geholt hat und aus dem Abgeordnetenhaus fliegt wird das Ergebnis gefeiert, Konfetti fliegt in die Luft und Sprechchöre feiern das phänomenale Abschneiden der Freien Demokraten.

Etwa 50 Aktivisten der Hedonistischen Internationale und der Partei „Die Partei“ hatten sich in Abendgarderobe in die Wahlparty eingeschlichen, jede Menge Freibier getrunken und das Jahrhundert-Ergebnis frenetisch gefeiert.

Ein Aktivist sagt im Interview: „Wir hatten großen Rückenwind der Bundespolitik, so haben wir doch noch dieses phänomenale Wahlergebnis von unter 2 Prozent erstritten. Ohne eine harte Ansage gegen Griechenland wäre das nicht möglich gewesen. Deswegen kann man sagen, vom Ergebnis her: „Die FDP ist wieder da…“

Beim ZDF passen irgendwie Bild und Kommentar nicht so ganz zusammen:

Der PARTEI-Vorsitzende Martin Sonneborn kommentierte das FDP-Wahldebakel mit den Worten: „Wir freuen uns, dass die letzte Spaßpartei in Berlin rausgeflogen ist.“

Antwort vom Innenminister

Auf meinem Brief an Bundesinnenminister Friedrich bekam ich bereits nach wenigen Tagen eine Antwort von einem der Mitarbeiter des Ministers. Urlaubsbedingt komme ich jetzt erst dazu diese hier zu veröffentlichen.

„Sehr geehrter Herr Vaulont,

haben Sie vielen Dank für den konstruktiven Brief.

Bundesinnenminister Dr. Friedrich hat mehrfach – u.a. auf dem Kirchentag in Dresden – betont, dass er keine gesetzliche Pflicht will, sich ständig und überall im Netz ausweisen zu müssen. Selbstverständlich muss weiterhin die Möglichkeit bestehen, Pseudonyme zu verwenden. Gerade für Internet-Angebote der Seelsorge und Beratungsstellen ist dies unverzichtbar.

Die Frage nach der Anonymität im Internet hat jedoch viele Facetten und lässt sich nicht mit einem klaren Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß beantworten.

Die jüngsten Äußerungen des Bundesinnenministers bezogen sich auf Blogs, in denen Menschen unter Pseudonymen radikale politische Ansichten verbreiten. Sie bilden Fassaden, hinter die niemand schauen soll. Sie entziehen sich damit der demokratischen Streitkultur. Das mag ihr gutes Recht sein, aber es ist letztlich feige.

Dem Bundesinnenminister geht es darum, dass gerade diejenigen, die mit ihren politischen Radikalthesen am lautesten prahlen, sich nicht hinter einer Maske verstecken, sondern mit offenem Visier streiten. In einer Demokratie können und müssen wir uns das leisten.

Mit freundlichen Grüßen“

Textbausteine sind schon was tolles. Nur leider gab es offensichtlich nicht für alle von mir angesprochenen Punkte welche.

Irgendwie juckt es mich in den Fingern, darauf eine Antwort zu schreiben!

Brief an Innenminister Friedrich

Nach seinen Äußerungen im Spiegel habe ich den folgenden Brief an Innenminister Hans-Peter Friedrich geschickt.

Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister Dr. Friedrich,

nach Ihren Äußerungen im Spiegel zu den Anschlägen in Norwegen möchte ich mich direkt an Sie wenden. Ich kann ihre Aussagen nicht wirklich nachvollziehen, und da Sie ja immer wieder fordern, man solle sich der Auseinandersetzung offen stellen, tue ich dies hiermit. Vielleicht stellen Sie sich ja auch und antworten mir.

Herr Dr. Friedrich, Sie und ich haben etwas gemeinsam. Die Anschläge von Norwegen haben bei Ihnen und bei mir die gleichen Gefühle hervorgerufen. Betroffenheit, dass ein einzelner Irrer mit verquerem Weltbild über sechzig Menschen tötet. Entsetzten, dass plötzlich aus dem Nichts mitten auf einer Insel Jugendliche regelrecht abgeschlachtet werden. Wut, dass die Anschläge nicht verhindert werden konnten. Aber auch Angst. Angst, dass auch hier ein Psychopath im Namen (s)eines Weltbildes Anschläge verübt. Ja, diese Gefühle habe ich genauso wie Sie und genauso wie viele andere Menschen in Deutschland.

Aber da hören unsere Gemeinsamkeiten auch schon auf. Sie ziehen andere Schlüsse aus den Attentaten als ich. Während Sie das Internet als potenzielle Gefahrenquelle ansehen und die Sicherheitsgesetze verschärfen wollen, teile ich eher den norwegischen Standpunkt, auch in diesen Zeiten lieber die Freiheit zu verteidigen. Wir beide liegen da weit auseinander. Vielleicht ist der Altersunterschied zwischen uns beiden schuld daran. Vom Alter her könnten Sie mein Vater sein. Während es in Ihrer Kindheit weltweit nur ganz wenige Computer gab, bin ich mit dem Internet groß geworden. Es gehört für mich einfach dazu. Es ist für mich normal, mich täglich im Internet zu bewegen.

Ein bisschen kann ich Ihre Skepsis vor dem Internet verstehen. Wer nicht damit groß geworden ist, sich nicht ständig im Internet bewegt, für den kann es etwas beängstigendes haben. Ein weltweites Netz mit einer Fülle von Informationen. So groß dass es niemand überblicken kann. Jeder ist mit jedem vernetzt. Daten werden in Sekundenbruchteilen quer über den ganzen Globus geschickt, über staatlichen Grenzen hinweg. Für die einen ist das faszinierend, für die anderen unter Umständen angsteinflößend.

Ihre Aussagen im Spiegel kann ich hingegen nicht nachvollziehen:

  1. „Politisch motivierte Täter wie Breivik finden heute vor allem im Internet jede Menge radikalisierter, undifferenzierter Thesen, sie können sich dort von Blog zu Blog hangeln und bewegen sich nur noch in dieser geistigen Sauce“, sagten Sie im Spiegel. Wer radikale und undifferenzierende Thesen sucht, der findet sie. Allerdings trifft das nicht nur auf die digitale Welt zu. Ist Ihnen schonmal aufgefallen, dass Ihr Zitat auch recht gut auf Stammtische passt? Also diese Treffen zur gemeinsamen Diskussion gesellschaftlicher Probleme und komplexer politischer Lösungskonzepte bei gleichzeitigem Konsum alkoholischer Getränke? So traurig es ist, aber die allermeisten Menschen wollen nur das lesen und hören, was ihre eigene Meinung bestätigt. Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Meinung? Fehlanzeige. Das ist aber kein internetspezifisches Problem. Der CDUler ließt die FAZ und der Linke die Junge Welt. Ich finde es sehr löblich von Ihnen, dass Sie das Problem als solches erkannt haben und für eine stärkere Auseinandersetzung mit komplexen Thesen und gegenteiligen Ansichten plädieren. Nur irgendwie kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, Sie bezögen Ihre Aussage nur auf das Internet.
  2. „Wir haben immer mehr Menschen, die sich von ihrer sozialen Umgebung isolieren und allein in eine Welt im Netz eintauchen. Dort verändern sie sich, meist ohne dass es jemand bemerkt. Darin liegt eine große Gefahr, auch in Deutschland.“ Entweder man bemerkt etwas von der Veränderung und kann deshalb etwas über deren Anzahl und das Gefahrenpotenzial sagen oder man bemerkt es nicht. Dann kann man aber auch nichts über deren Anzahl sagen. So wie Sie diese Sätze gesagt haben, passen sie denklogisch nicht zusammen und klingen nur nach billiger Angstmache.
  3. Laut dem Spiegel machen Sie für die Bildung einer aggressiven islamfeindlichen Bewegung in Europa auch Islamisten mitverantwortlich. Sie werden mit den Worten zitiert: „Man muss auch sehen, dass der Missbrauch des Islam durch islamistische Gewalttäter dazu beigetragen hat.“ Wenn ich das richtig verstehe, ist das Christentum jetzt also mitverantwortlich, wenn sich nun eine aggressive christenfeindliche Bewegung bildet, da der Attentäter von Norwegen sich selbst als christlicher Fundamentalist bezeichnet!?
  4. Bei Ihrer Aussage, die Grundsätze der Rechtsordnung „müssen auch im Netz gelten“, frage ich mich, ob Sie als Jurist wirklich glauben, dass unsere Rechtsordnung nicht im Internet gilt. Was meinen Sie, warum werden Internetnutzer wegen Urheberrechtsverletzungen abgemahnt? Warum kann man im Internet Verträge schließen? Warum Kinderpornografie im Internet bekämpft wird? Einfach so, ohne Rechtsgrundlage, oder vielleicht, weil unser Recht auch im Internet gilt?! Ihre Aussage zeugt entweder von einem massiven Missverständnis oder von Böswilligkeit. Zu Ihren Gunsten gehe ich mal nicht von Letzterem aus. Versuchen Sie einfach ein Delikt zu nennen, dass in der „analogen Welt“ strafbar, in der „digitalen Welt“ aber straffrei ist!
  5. Ihre Forderung Blogger sollten „mit offenem Visier“ argumentieren, ist jetzt nicht ganz so neu und ist sogar schon umgesetzt. Das ganze nennt sich „Impressumspflicht“ und ist in §§ 5, 6 Telemediengesetz (TMG) und § 55 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) geregelt. Jeder Blogger muss in seinem Blog seinen Namen und seine Anschrift angeben – so viel zum Thema rechtsfreier Raum. Dass sich nicht jeder daran hält, bedeutet nicht automatisch, dass es schärferer Gesetze bedarf. Oder fordern Sie auch schärfere Gesetze gegen Temposünder, weil sich einige Autofahrer nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten?!

Ich würde gerne Ihre Auffassung verstehen, kann es aber nicht. Ich habe den Eindruck, dass Sie anstatt besonnen zu (re)agieren eine angstgeleitete und polemische Politik betreiben.

Sie fordern einen Dialog, beziehen das aber lediglich auf die Zuwanderer. Vielleicht sollten Sie einen generellen Dialog fordern, „der allen gerecht wird, nicht nur der Minderheit, sondern auch der Mehrheit, die hier lebt“. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2011 gibt es heute nämlich 51,7 Mio. Internetnutzer in Deutschland. Das entspricht 73,3% der Bevölkerung. Die Mehrheit ist im Internet.

Der Zuwachs geht übrigens vor allem auf die Über-60-Jährigen zurück. Allein der Altersunterschied zwischen Ihnen und mir, kann also nicht der Grund für die unterschiedliche Auffassung in Bezug auf das Internet sein.

Mit freundlichen Grüßen

David Vaulont

Update: Hier ist die Antwort des Innenministers

Speed-Bergsteigen am Eiger

Der Schweizer Profibergsteiger Ueli Steck ist die Eigernordwand ohne Sicherung geklettert. Und das in gerade mal 2 Stunden und 47 Minuten!